CORINNA SCHNITT 'ONCE UPON A TIME'
9. Nov - 22. Dez 2005

Corinna Schnitt ONCE UPON A TIME

Corinna Schnitt präsentiert in ihrer zweiten Einzelausstellung in der Galerie Olaf Stüber drei neue Arbeiten.

Die neuen Arbeiten von Corinna Schnitt werden in einen größeren Rahmen von Mensch, Tier und Natur gestellt. Die Künstlerin arbeitet in den gezeigten Arbeiten mit der völligen Abstinenz von Sprache und Text, die Soundkulisse setzt sich zusammen aus den Geräuschen der gefilmten Umgebung. In „Once upon a time“ und „Sunland“ werden die stille Beobachtung und der voyeuristische Blick stetig durch die in ihrer systematischen Bewegung irritierende Kamera gestört, die sich zusätzlich durch ihre Eigengeräusche bemerkbar macht.

In der Arbeit „Once upon a time“ erhält der Begriff „Haustier“ eine erweiterte Bedeutung. Eine Kamera auf dem Teppich des Wohnzimmers rotiert um ihre eigene Achse und nimmt so eine kontinuierliche Panoramaansicht auf. Nach und nach füllt sich das Zimmer: Katzen, Hunde, Kaninchen, Papageien bis hin zu Ziegen und Ponys bevölkern den Raum. Mit Spannung wartet der Betrachter auf die nächste Drehung, denn die Szenen, die sich vor und hinter der Kamera abspielen, sind ein durchaus lustiges wie tragisches Spektakel. Inszeniert ist nur der Rahmen, was dann passiert, wird den Tieren (scheinbar) selbst überlassen.
Der Mensch bleibt außen vor, zumindest physisch. Die Absurdität der Konfrontation von menschlichem Wohnraum und Tieren, deren Existenz direkt an den Menschen gekoppelt ist, bereitet Vergnügen. Doch es ist genau diese Umkehrung der Normalität, die dem Betrachter klar macht, wie absurd die eigentliche Wirklichkeit ist.

„Sunland“: Eine Kamera scannt die Gegend ab: aus einem „Urwald“ aus Schilf und sandigem Boden tritt ein nackter Mann, auf seiner Hand sitzt ein Vogel. Cut. Nächste Sequenz. Ein zweiter Mann kauert auf dem Boden. Das Bindeglied zwischen den beiden ist dieses Tier, das selbst in diesem fiktiven Paradies schon auf den Menschen angewiesen ist.
Wir befinden uns im Mythos: Schnitt schreibt die biblische Schöpfungsgeschichte neu. Diesmal sind die ersten Menschen beide männlich. Wer könnte Eva, wer Adam sein? Die beiden Männer kümmern sich um einen Nymphensittich, denn eigener Nachwuchs ist (noch) nicht möglich (und vielleicht auch gar nicht notwendig?).
Der Betrachter fühlt sich in den gesellschaftlichen Strukturen gefangen und gleichzeitig ertappt: Schnitt re-interpretiert ein kulturell verankertes Bild, also versuchen wir die Rollen in Gedanken neu zu verteilen. Doch das Durchschauen dieser scheinbaren ikonographischen Tradition ermöglicht uns, Fragen zu stellen: Wie fühlt sich derjenige, der diesem Lebenskonzept nicht entspricht und/oder nicht entsprechen kann? Und wer bestimmt das Konzept?

„18.8.2005“: Ein typisches Mitbringsel von einer USA-Rundreise: ein Erinnerungsfoto vor dem Grand Canyon. In dieser Videoarbeit bringt Schnitt unsere Sehgewohnheiten durcheinander. Der Blick des Betrachters sucht unruhig nach einem Punkt, den er fixieren kann und ist schließlich dankbar für den großen Vogel, der immer wieder aus den Schluchten des Canyons auftaucht und uns die Gewissheit verheißt, dass es sich nicht um ein Standbild handelt.
Wir sind gezwungen, ein zu Kitsch verkommenes Urlaubsbild genauer zu betrachten. Das Gewicht verlagert sich vom austauschbaren Menschen zur Natur. Wie viele dieser sonst schnell beiseite gelegten Fotos gibt es wohl, die nichts anderes sollen, als den Beweis des „Ich war da!“ zu erbringen? Doch die Natur kümmert’s nicht. Sie nimmt ihren Lauf.

Corinna Schnitt kehrt das Gewohnte um, löst es somit heraus und ermöglicht schließlich, die „Wirklichkeit“ aus einer anderen Perspektive betrachten zu können.
Zentral in den neuen Arbeiten ist der unauflösbare Konflikt zwischen der Natur und dem Menschen, der sich diese zu Eigen machen möchte und letztendlich doch selbst nur ein Teil von ihr ist. Schnitt fragt nach Kontinuität gesellschaftlicher Formung, nach der Entstehung bestimmter Normen und welche Rolle der Mensch darin inne hat und ob er sie überhaupt kontrollieren oder beeinflussen kann.

Die in Köln und Berlin lebende Künstlerin Corinna Schnitt wurde mehrfach mit anerkannten nationalen und internationalen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Sie ist u.a. Artist in Residence in der Casa Baldi, Italien, Stipendiatin des Else-Heiliger-Fonds, Konrad-Adenauer-Stiftung und wird 2006 erneut als Visiting Artist am California Institute of the Arts (CalArts), Los Angeles, unterrichten.

Simone Bogner