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Astrid
Nippoldt | Martina Schumacher
UNIVERSAL
PICTURES
13. Nov - 22. Dez 2004
Am
Ende des Universums sehen wir uns selbst
Früher
führte der Weg „von der geschlossenen Welt zum unendlichen
Universum“, so wie ihn der französische Wissenschaftshistoriker
Alexandre Koyré 1957 nachzeichnete. Koyré betrachtete die
Entwicklung vom Mittelalter bis zum Barock, die optisch durch die Erfindung
der Zentralperspektive und neue astronomische Instrumente geprägt
war. Beim Blick in die Ferne, auf der Erde immer wieder am Horizont endend,
holten Teleskope auch entlegene Gestirne in Reichweite des Auges.
Aber wo befindet sich der Betrachter? Steht er „innen“, schaut
durch ein „offenes Fenster“ in das Bild hinein? Oder ist das
Bild das Innere, und man schaut von draußen hinein? Die Trennung
von Betrachter und Bild (jeweils in einem eigenen Universum) ist bereits
problematisch, wenn das Bild nicht als Fenster, sondern – wie in
der niederländischen Malerei – als Spiegel aufgefaßt
ist. Damit wird der im Bild sichtbare Raum zur Verdoppelung der Sphäre
vor dem Bild, in der sich der Betrachter befindet.
Neuere Erkenntnistheorien haben das komplizierte und geradezu paradoxe
Verhältnis zwischen der Wahrnehmung und dem Wahrgenommenen genauer
analysiert. Heinz von Foerster, Wegbereiter des Radikalen Konstruktivismus,
formuliert es so: „Bin ich vom Universum getrennt (das heißt,
sehe ich wie durch ein Guckloch auf das sich vor mir entfaltende Universum)
oder bin ich ein Teil des Universums (das heißt, wann immer ich
vom Universum spreche, spreche ich auch von mir)?“
Von Foerster hält diese Frage für prinzipiell unentscheidbar.
Mit unentscheidbaren Fragen, welche die Wahrnehmung betreffen, befassen
sich aber nicht nur Wissenschaftler, sondern auch und vor allem Künstler.
Dass die Instrumente der Wahrnehmung und der Aufzeichnung des Sichtbaren
nicht von der Wahrnehmung selbst zu trennen sind, führen Astrid Nippoldt
und Martina Schumacher auf sehr unterschiedliche Weise vor.
Astrid
Nippoldts Video „The Serendip Stadium“ zeigt Szenen einer
verschneiten Trabrennbahn. Das Bild wird immer undeutlicher, je näher
die Kamera heranrückt. Die Schneeflocken werden zu großen glitzernden
Streifen, Pferdefell und –geschirr sehen aus wie Korpus und Saiten
einer Violine. Die bewegten Bilder des Films „transportieren“
uns auf verschiedene Ebenen der Sichtbarkeit. Die fast impressionistisch
wirkenden Aufnahmen sind eine Reminiszenz an die Zeit, als die Bilder
„laufen lernten“ – nicht zuletzt durch die Pferde, deren
Bewegungsablauf durch Muybridges Phasenfotos erstmals dem Auge sichtbar
wurde.
„Bloop“ führt ein Universum vor, in dem alle Bewegungen
wie unter Wasser verlangsamt scheinen. Ein Arm stützt sich wie am
Rand eines Bassins ab, dann jedoch wird zunehmend unklarer, in welcher
räumlichen Sphäre das vor sich geht. Was zunächst wie ein
Bild der Mondoberfläche aussieht, entpuppt sich als Sand, auf dem
die Künstlerin herumläuft. War das Hintergrundblau schon immer
der Himmel? Astrid Nippoldt läßt das bewußt offen. In
„Heroic Turn“ vollzieht die Künstlerin merkwürdige
bis obszöne Verrenkungen mit einem Stativ. Eine äußere
Kraft scheint sie aus dem Bild herauszuziehen. Auch die Kamera findet
keinen Abstand, keinen unabhängigen Standpunkt der Beobachtung. Es
wirkt, als ob ständig um ihn gerungen würde.
Der
Abstand spielt auch bei Martina Schumacher eine entscheidende Rolle. Ihre
großformatigen Bilder sind aus Tausenden von Pailletten zusammengesetzt.
Kleine farbige runde Metallplättchen mit einem Loch in der Mitte
wurden vor allem in der Zeit des Glitter-Disco-Stils auf die Kleidung
aufgenäht.
Die Ausgangsmotive, entweder eigene Fotografien, Abbildungen aus Zeitschriften
und Büchern oder Bilder aus dem Internet, werden von ihr eingescannt
und mit einem eigens dafür entwickelten Computerprogramm „analysiert“.
Das Programm übernimmt dabei die Entscheidung, welche der 45 verschiedenen
Paillettenfarben bei der Übertragung des Motivs an jeder einzelnen
Stelle verwendet wird.
Die Konturen des auf die Pailletten verteilten, wie in Pixel aufgelöst
erscheinenden Motivs rücken erst bei gewissem Abstand zum Bild zusammen.
Handelt es sich um das Porträt einer Person, um eisbedeckte Berggipfel
oder um Äste und Blätter eines Baumes, so läßt sich
das Motiv aus der Alltagserfahrung heraus identifizieren. Die Ansicht
einer „Supernova“, von der drei Varianten in der Ausstellung
zu sehen sind, wäre einem Laien vielleicht ebenso als Umsetzung einer
Mikroskopaufnahme aus dem Körperinneren zu verkaufen. Wie auch bei
Astrid Nippoldt findet ein irritierendes, mehrdeutiges Spiel mit Maßstäben,
Dimensionen und Aggregatzuständen statt. Besonderes Gewicht legt
Martina Schumacher, die sich selbst als „getreue Freundin der Schönheit“
sieht, auf die raffiniert glitzernde Oberfläche, der nicht nur unterschiedlicher
Lichteinfall immer wieder neue Wirkungen entlockt. Die in leichtem Abstand
zum Bildgrund auf Nägeln hängenden Pailletten bewegen sich,
sobald man nah am Bild entlanggeht oder ein Windzug auf sie trifft. Der
Raum des Bildes und der Raum des Betrachters wirken aufeinander ein.
Das
Universum der Bilder, die tagtäglich auf uns einströmen, scheint
unendlich groß zu sein und alles zu umfassen, was überhaupt sichtbar
werden kann. Dabei wird leicht vergessen, dass klare Sichtbarkeit nur unter
bestimmten äußeren und subjektiven Umständen zustande kommt.
Der wahrscheinlichere Fall ist, dass man etwas undeutlich, unscharf, nur ausschnitthaft
oder gar nicht sieht.
Für die Welt der Bilder gilt letztlich Ähnliches wie für die
Wahrnehmung des Kosmischen. Das sichtbare Universum ist nur ein kleiner Teil
eines viel größeren, das unserer Wahrnehmung nicht oder noch nicht
zugänglich ist. Am Ende und je näher man kommt, führt die Wahrnehmung
doch wieder auf den Wahrnehmenden selbst zurück. Richtet sich der Blick
bei Martina Schumachers Bildern schließlich aus kleiner Distanz auf
eine einzelne Paillette, sieht man die Spiegelung des eigenen Auges.
Ludwig
Seyfarth
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