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STEFAN ETTLINGER
8. Mai - 26. Juni 2004

Stefan Ettlinger HASENBRUCK

Sinn und Bedeutung haben in Stefan Ettlingers Malerei von jeher schlechte Karten. Tunlichst gehen die Bilder des Mitvierzigers diskursiv benennbaren Sinngehalten aus dem Weg, und zwar nicht nur dort, wo sie Motive ganz unterschiedlicher Herkunft anscheinend willkürlich kombinieren: Früher entschied das Los über die Zusammensetzung der Kombination. Vorlagen für seine Arbeiten waren und sind Zeitungs- und Illustriertenfotos, Postkartenmotive und Standbilder von Fernsehsendungen; heute zudem alte Fotoalben von Flohmärkten oder Bücher über Industrieanlagaen und Freizeitarchitektur. Immer aber ist das oberste Prinzip dieser Malerei die lupenreine Elimination von Sinn, Bedeutung, Narration. Motive, die aussehen, als transportieren sie eine inhaltliche Absicht werden aussortiert.

Die Erinnerung an eine Toskana-Aufenthalt vor fünfzehn Jahren, die Ettlinger in einem Interview einfließen ließ, beschreibt wo nicht die Urszene seiner Bildkunst so ein massenmediales Pendant seiner malerischen Technik. 1989 zappte sich der Künstler in Florenz durch italienische Fernsehprogramme, ohne Italienisch zu verstehen, und notierte nur einfach das, was er sah. Wie sich beim Zappen Bilder beziehungslos und zufällig zeitlich aneinander reihen, so räumlich wie in Ettlingers Malerei. Wichtig ist das Fernsehen für ihn schon als unerschöpfliche Bildquelle. "Fernsehen ist wie ein Wasserhahn, dreht man ihn auf, kommen Bilder heraus", erklärte er in einem Interview.

Ettlingers Bilder der letzten Jahre, wie sie die staatliche Kunsthall Baden-Baden präsentierte (die Ausstellung war im Herbst auch schon im Krefelder Museum Haus Esters zu sehen), sind so nicht nur als Reflex auf unsere mediale Wirklichkeit zu verstehen; sie reagieren gleichermaßen auf verbreitete Formen des konsumtiven Umgangs mit ihr. Die Hängung in der Kunsthalle war dem Charakter der Arbeiten durchaus kongenial. Die hier clusterartige Anordnung von teils sogar übereck neben- und übereinander plazierten Bildern, ihre dort natlose Reihung zu ausgedehnten Friesen übertrug das malerische Prinzip additiver Häufung von Motiven auf die museale Präsentation selbst.

Was auf den ersten Blick deutlich wurde: Um nichts geht es Ettlinger weniger als um eine kopierende Wiederholung seiner medialen Vorlagen - Fotorealismus ist seine Sache zuallerletzt. Das bezeugen nicht zum wenigsten die sinnfälligen Metamorphosen ,die die medialen Motive in seinen Bildern durchlaufen. Fernseh-Standbilder und Filmstills, die das Moment von Bewegung einfrieren, setzen sich malerisch in eine gesteigerte Bilddynamik und -bewegung um, die weniger inhaltlichen Momenten entspringt als dem Pinselduktus. Und die gestochen scharfen Vorlagen übersetzen sich in (zer)fließenden Formen und ungebunden mäandernde Konturen, ein vegetabilisches Wuchern, das man auch Farb-Wuchern nennen könnte, insofern die Bewegung im Formalen koloristisch noch gesteigert wird. Die Verunklärung der Bildelemente im Malduktus entspricht technisch der traumsprachlichen, bisweilen auch surrealen stofflichen Kombination des nach logischen Gesichtspunkten und im Horizont alltäglicher Welterfahrung gänzlich Disparaten, Unzusammengehörigen.

(Farb-)Bewegungen also als hervorstechendes Merkmal: In Ettlingers malerischem Breitwandkino - auffällig ist eine Vorliebe für langgestreckte Querformate, die im panoramatischen Blick gleich mittelalterlichen Weltlandschaften ganz Unterschiedliches in eins fassen - wird jedes noch so unscheinbare Detail von der bildimmanenten Dynamik erfasst. Landschaften erscheinen ozeanisch bewegt: "Valle Versasca" spielt in einen brodelnden Farbsee hinüber, "Dnjepropetrowsk" im Blick aus dem Zugfenster in ein wogendes Farbmeer. Und selbst das biederwürttembergische "Heimsheim" wirkt wie von einem kosmischen Malstrom der Farbe erfasst. Nicht von ungefähr wird der Künstler gern mit Munch in Verbindung gebracht. Als Metaphern von Bewegung bevölkern Autos und Schiffe, Flugzeuge und andere, nicht selten futuristisch anmutende undefinierbare Flugobjekte die Bilder: Wie für den Comic, von dem nicht nur "Kalamazoo" beeinflusst ist, interessiert sich Ettlinger für Science fiction. Stillstand ist in diesen Szenerien tabu: Im metallischen Glanz spielt noch die Betontreppe in dem vergleichsweise statischen "Zwölf B." von 1998 in eine Rolltreppe hinüber. Bei alledem sticht ins Auge, dass Ettlingers Malerei diese Fortbewegungsmittel vorzugsweise in oder nach prekären Situationen zeigt. Da ist ein Schiff im Begriff zu kentern, oder Autowracks verunstalten nach Unfällen die Landschaft. Einmal driften comicartige Fahrzeuge über ein bodenlos blaues, an eine Wasserfläche gemahnendes Farbfeld.

Auch Gebäude scheinen von der subkutanen Katastrophendynamik erfasst zu werden. In "Zwei" von 2000 neigt sich eine Gebäudefront wie unmittelbar vor dem Einsturz bedenklich nach einer Seite und droht eine Miniaturlandschaft mit winzigen Autos im Vordergrund zu verschütten. King Kong gleich taucht in "Don" wie ein Wesen aus einer anderen Welt ein gigantische Gestalt hinter einem Gebäudekomplex auf. Auch wenn Ettlinger seine Bilder "schön und normal" findet - ihre heimliche Signatur ist die Katastrophe. Mehr als einmal wirken seine Bild-Landschaften apokalyptisch angehaucht.

Dann wieder sehen wir Menschen in alltäglichen Situationen, beim Volleyballspiel im Freien oder im Rockkonzert. Doch bei aller situativen Vertrautheit muten noch diese Szenerien unvertraut, fremdartig an. Die Menschen in Ettlingers Bildern sind, wo ihre Züge nicht comicartig verfremdet sind, meist gesichtslos anonym. Und mit frappierender Selbstverständlichkeit bewegen sie sich auf ungesichertem Terrain, das hier und da Mondlandschaften und Wüsteneien gemahnt. Noch aus dem Maul eines Riesenfisches grinst einer masochistisch arglos. In "Eins. Zwei. Drei" von 2000 agieren Schwimmbadbesucher als ausgezehrte Mumien fernster Zeiten. Betrachtet Ettlinger die Gegenwart selbst mit dem distanzierten Blick des Archäologen? "Zwanzig. Eins" zeigt im Ausschnitt eine turmartige Architektur aus zellenartig abgeteilten kleinen Räumen; die Assoziation einer Bildschirmwand liegt nicht ganz fern. Der mediale Turmbau zu Babel(sberg) aber, den Ettlingers Malerei mit leidenschaftlicher Hassliebe begleitet, wirkt ungesichert, im Bodenlosen verwurzelt, beinahe freischwebend. Was werden spätere Zeiten in dem Schutt finden? Müll, wie er sich vor jener einstürzenden Gebäudefront stapelt.

Hans-Dieter Fronz in: Kunstforum, Bd. 169, März - April 2004, S. 290 - 291